Aktuelle Lage im Kreditgeschäft
Seit Beginn der COVID-19-Pandemie ist das gesellschaftliche Leben durch die massiven Gegenmaßnahmen eingeschränkt. Hiervon sind Unternehmen in Abhängigkeit von Branche und Vertriebskanälen stark betroffen; für die Kreditwirtschaft bedeutet dies, dass der Kreditbedarf von Unternehmen ansteigt, teilweise Liquiditätsengpässe auftreten und eine hohe Anzahl von Kreditanfragen zu bearbeiten sind.
Der Staat ergreift Rettungsmaßnahmen in Gestalt eines gigantischen KfW-Hilfsprogramms, das Firmenkredite mit Staatsgarantie ermöglicht. Hierbei verbleiben in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße nur 10 bis 20% des Kreditrisikos bei der Bank oder der Sparkasse; bei den kleineren KfW-Schnellkrediten wird sogar das gesamte Kreditrisiko von der KfW übernommen. Der Haftungsübernahme der KfW entsprechend, reduziert sich die erforderliche Eigenkapitalunterlegung für die Kreditvergabe Institute. Weiterhin wurden die Kapitalpufferanforderungen, die über die regulatorischen Mindestkapitalanforderungen hinausgehen, von der Aufsicht während der Krise auf null herabgesetzt.
Für gewöhnliche Kredite mit anderen Sicherheiten (z.B. Autos) besteht jedoch eine größere Unsicherheit bezüglich der möglichen Sicherheitenerlöse, oder eine Verwertung am Markt ist sogar vorübergehend praktisch unmöglich geworden.
Ein Anstieg von Portfolio-Ausfallraten ist für die nähere Zukunft anzunehmen. Dann wird es auf die durch bisherige Kreditentscheidungen herbeigeführte Kreditqualität im Bestandsgeschäft und die Erlösquoten für Sicherheiten ankommen. Die Zusagen auf Basis aktueller Kreditprüfungen werden die künftige Entwicklung der Portfolio-Ausfallraten und der Verlustquoten beeinflussen.
Das fachliche Niveau der Bonitäts- und Sicherheitenbewertung soll unverändert hochgehalten werden, auch wenn operationelle Vereinfachungen während der Kreditprüfung zurzeit von der Aufsicht in einem gewissen Maß toleriert werden (z. B. ein flexiblerer Einsatz von Mitarbeitern aus Markt und Marktfolge).
Neben der Bonitäts- und Sicherheitenbewertung bestehen weitere Vorgaben im Rahmen der Kreditvergabe, wenn auch hierbei gewisse Anpassungen operationeller Abläufe zurzeit von der Aufsicht toleriert werden (z. B. bei der Identifizierung natürlicher Personen).
Regulierung der Kreditvergabe
Die Guidelines on loan origination and monitoring von der EBA aus dem Jahr 2020 stellen die neueste aufsichtliche Veröffentlichung zu Kreditvergabeprozessen dar. Die Umsetzungsfrist für diese Leitlinien läuft bis zum 30. Juni 2021. Hinsichtlich neuer Anforderungen neben den etablierten Prozessen ist das BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken relevant.
Die EBA-Guidelines enthalten zunächst allgemein formulierte Anforderungen, die interne Governance und Risikokultur, Risikostrategie, Risikoappetit und Kreditlimits, Richtlinien und Prozesse, Entscheidungsfindung, Kreditrisikomanagement und interne Kontrolle behandeln (Abschnitt 4). Hierbei werden auch übergreifende Anforderungen an die Dateninfrastruktur gestellt (Abschnitt 4.3.7). Die Anforderungen in Bezug auf interne Governance, Kreditrisikomanagement und interne Kontrolle sind gemäß dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit anzuwenden.
Die Anforderungen, was bei der Ausführung von Kreditprüfungen im Einzelnen zu beachten ist, lassen sich in folgender Weise unterteilen:
- Datenerhebung (Abschnitt 5.1)
- Bonitätsprüfung (Abschnitt 5.2)
- Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (Abschnitt 4.3.1)
- Nachhaltigkeitsbewertung (Abschnitte 4.3.5 und 4.3.6)
- Sicherheitenbewertung (Abschnitt 7)
- Kostenrechnung beziehungsweise Preisfindung (Abschnitt 6)
Einerseits wird für die Anforderungen in Bezug auf Bonitätsprüfung, Sicherheitenbewertung und Kostenrechnung in den EBA-Guidelines das Prinzip der Verhältnismäßigkeit formuliert. Insbesondere in den Abschnitten der EBA-Guidelines zu Datenerhebung, Bonitätsprüfung und Kostenrechnung werden andererseits zahlreiche konkrete Mindestanforderungen gestellt, welche Information zu erheben und zu verarbeiten ist. Letzteres ist der Verhältnismäßigkeit entgegengesetzt, denn der hohe Detaillierungsgrad der Anforderungen lässt nur wenig Spielraum dafür, die Umsetzung an Risikogehalt und Komplexität des Kreditgeschäfts eines Instituts anzupassen.
Datenerhebung im Kreditvergabeprozess
Es soll eine Gesamtsicht auf die finanzielle Lage eines Kunden hergestellt werden, insbesondere eine genaue und aktuelle Sicht auf Kredite des Kunden auch bei anderen Instituten (vgl. Tz. 90).
Eine Plausibilitätsprüfung und Verifizierung von Information, die dem Institut von dem Kreditnehmer bereitgestellt wurde, wird unter Umständen verlangt (vgl. Tz. 89). Maßnahmen zur Verifizierung von Information werden angesprochen, wozu auch Nachfragen bei Dritten gehören.
Anforderungen bestehen auch in Bezug auf die Granularität der Datenhaltung, und zwar sollen Daten auf Vertragsebene verfügbar gehalten werden (siehe Tz. 61 für Details).
In den EBA-Guidelines werden dann detaillierte Anforderungen gestellt, welche Informationen (in Abhängigkeit von Kundentyp und Produkttyp) zu erheben sind. Im Fall von Firmenkrediten werden u. a. Zweck des Kredits, Einkünfte, Cashflows, Geschäftsmodell und Unternehmensstruktur, Geschäftsplanung und Sicherheiten genannt. Die Informationsabfrage im geforderten Umfang wird bei kleineren Geschäftskunden oder Start-ups jedoch unrealistisch sein.
Es könnte sich bei den zu erhebenden Daten teilweise um Informationen handeln, die sich bei genauerer Analyse als für die Beurteilung der Bonität eines Kunden kaum relevant herausstellen.
Die Informationsverarbeitung im Zusammenhang mit der Kreditvergabe ist zu dokumentieren und diese Dokumentation verfügbar zu halten.
Bonitätsprüfung
In den EBA-Guidelines werden detaillierte Anforderungen gestellt, was in Abhängigkeit von Kundentyp und Produkttyp während einer Bonitätsprüfung zu beachten ist. Im Fall von Firmenkunden gehört hierzu insbesondere die finanzielle Lage des Kreditnehmers, und für diesen Teil der Bonitätsprüfung wird u. a. Folgendes genannt:
- Kapitalbindungsdauer
- Bilanz und Finanzierungsstruktur
- Einkommen, Cashflows und Profitabilität
- Leverage, Dividendenausschüttung und Investitionskosten
Kennzahlen, deren Nutzung in einem angemessenen Umfang erwartet wird, werden explizit angegeben, zum Beispiel:
- Verschuldung: Debt service coverage ratio (DSCR), Interest coverage ratio (ICR), Debt to equity ratio
- Kosten: Loan to cost ratio
- Profitabilität: EBITDA, Return on equity, Net operating income to market value
Kreditscore, internes Rating und die hierauf basierende PD werden neben anderen zu betrachtenden Gegenständen aufgeführt.
Die Anforderungen sind im Bereich der Firmenkunden nicht nur auf quantitative Größen bezogen, sondern es werden auch qualitative Bewertungen verlangt: Dies bezieht sich auf Organisation, Geschäftsmodell und Strategie des Kreditnehmers, das politische, wirtschaftliche und rechtliche Umfeld.
Darüber hinaus werden in den EBA-Guidelines Sensitivitätsanalysen verlangt, die für Firmenkunden Folgendes berücksichtigen sollen:
- kundenbezogene Vorfälle: z. B. starker Umsatzrückgang, starker Gewinnrückgang, Störungen bei Geschäftspartnern, insbesondere bei Lieferanten oder Abnehmern
- marktbezogene Entwicklungen: z. B. Rezession, Abschwung innerhalb der Branche des Kreditnehmers, erhebliche Änderungen aufgrund von Maßnahmen der Politik
Nachhaltigkeitsbewertung und Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung
In den EBA-Guidelines on loan origination and monitoring werden Nachhaltigkeitskriterien in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht (environmental, social and governance) als Bestandteil von Richtlinien für Risikomanagement und Kreditrisiko angesehen (Abschnitt 4.3.5).
Eine ausführlichere Behandlung von Nachhaltigkeitsrisiken bleibt in den EBA-Guidelines auf ökologische Aspekte beschränkt, und zwar wird darauf eingegangen, wie bei Engagement einer Bank im Bereich ökologisch nachhaltiger Kredite (green lending) spezifische Richtlinien zu entwickeln sind (Abschnitt 4.3.6).
Während in Deutschland von der BaFin ein Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken vorliegt, sind weitere regulatorische Veröffentlichungen auf europäischer Ebene angekündigt.
In den EBA-Guidelines wird angesprochen, wie die Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in internen Richtlinien darzustellen sind (Abschnitt 4.3.1).
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Sicherheitenbewertung
Es wird zwischen unbeweglichen und beweglichen Sachsicherheiten unterschieden. In Abhängigkeit von dieser Unterscheidung sind manuelle Bewertungen von Sicherheiten erforderlich:
- Eine manuelle Bewertung (durch einen internen oder externen Gutachter) wird in den EBA-Guidelines für Immobiliensicherheiten bei der Kreditvergabe verlangt. In der Regel gehört hierzu eine Außen- und Innenbesichtigung (wenn auch zurzeit von der BaFin diesbezüglich Vereinfachungen toleriert werden). In einem Gutachten sind u. a. alle bekannten Umstände zu berücksichtigen, die kurzfristig den Wert beeinflussen könnten.
- Bei beweglichen Sachsicherheiten besteht gemäß den EBA-Guidelines alternativ die Möglichkeit den Wert anhand statistischer Modelle zu bestimmen.
Kostenrechnung und Preisfindung bei der Kreditvergabe
Ein umfassendes Rahmenwerk für die Preisfindung im Kreditgeschäft wird gemäß den EBA-Guidelines erwartet. Dieses Rahmenwerk soll Geschäftsstrategie und Risikoappetit entsprechend ausgestaltet werden, wobei sowohl die Sicht auf die Profitabilität als auch auf das Risiko zu berücksichtigen sind.
Im Zusammenhang mit der Kreditvergabe wird dann konkret die Betrachtung folgender Größen verlangt:
- Kapitalkosten
- Refinanzierungskosten (mit Bezugnahme auf vertragliche Laufzeit, aber auch Verhaltensannahmen)
- Verwaltungskosten
- Kreditrisikokosten (gegebenenfalls mit Nutzung von EL-Modellierung)
- andere Kosten
- bezüglich Profitabilität z. B. RORAC oder RAROC
Weiterhin wird die Berücksichtigung von Wettbewerb und Marktbedingungen genannt.
Prozessautomatisierung und technische Innovation
Die EBA-Guidelines enthalten Abschnitte, die speziell auf bestimmte Geschäftsfelder bezogen sind: und zwar private Wohnimmobilienfinanzierung, gewerbliche Immobilienfinanzierung, Schiffsfinanzierung und Projektfinanzierung.
In anderen Teilen der EBA-Guidelines wird zwischen Privatkunden, kleineren und größeren Firmenkunden unterschieden; im Übrigen besteht jedoch die Tendenz zu einer Einheitslösung, die für Banken verschiedener Größe und verschiedene Produkte gleichermaßen anzuwenden ist. Im Hinblick auf die zahlreichen detaillierten Vorgaben, wird so eine zunehmende Standardisierung der Praxis in der Kreditvergabe herbeigeführt werden.
Aus technischer Sicht sollten einerseits konkrete Vorgaben und damit einhergehende Standardisierung der Kreditvergabe eine Automatisierung der Prozesse begünstigen. Tatsächlich wird es darauf ankommen, wie die Vorgaben im Einzelnen umsetzbar sind. Kritische Punkte für die Umsetzung mit Blick auf die Prozesseffizienz sind, ob ein elektronischer Austausch von Dokumenten möglich ist, ob die Informationen aus Kreditanträgen direkt digital verarbeitet werden können, inwieweit Online-Vertrieb etabliert ist, und ob die Kreditentscheidungen nur in Abhängigkeit von digital verfügbaren Daten getroffen werden.
Der Digitalisierung, der Prozessautomatisierung und damit der Effizienz der Kreditvergabe werden durch die EBA-Guidelines allerdings Grenzen gesetzt; weil Vorgaben so formuliert wurden, dass manuelle Arbeitsschritte während der Bonitätsprüfung in Abhängigkeit von Kundentyp und Produkttyp teilweise unvermeidbar bleiben. Desgleichen wird eine Automatisierung der Bewertung von Sicherheiten nur begrenzt möglich sein.
Diese aktuelle regulatorische Veröffentlichung hinterlässt den Eindruck, dass die Betrachtung nicht immer auf digital verfügbare Daten fokussiert wird, sondern Dokumente in Papierform weiterhin eine nicht unerhebliche Rolle spielen sollen.
Für Institute, die technische Innovation im Zusammenhang mit der Kreditvergabe vorantreiben, sind in den EBA-Guidelines besondere Anforderungen formuliert:
- die Behandlung des hiermit verbundenen Risikos
- ein ausreichendes Verständnis für die Nutzung innovativer Lösungen und für den Einfluss auf den Kreditentscheidungsprozess
Weiterhin wird die Frage, wie man Verzerrungen im Kreditentscheidungsprozess entgegenwirkt, in Verbindung mit Modellen für Kreditwürdigkeitsbewertungen, Kreditentscheidungen sowie technischer Innovation bei der Kreditvergabe angesprochen.
Ausblick
Während der COVID-19-Krise werden digitale Erfahrungen mehr als je zuvor gesammelt. Mit Digitalisierung und Prozessautomatisierung kann die Effizienz der Kreditvergabeprozesse erhöht werden, und dies ermöglicht eine erhöhte Anzahl von Kreditanfragen, sogar unter erschwerten Bedingungen schnell und fehlerfrei zu bewältigen.
Manuelle Arbeitsschritte sind hingegen der häufigste Grund für lange Bearbeitungszeiten. In welchem Umfang manuelle Bearbeitungsschritte langsam und fehleranfällig erfolgen, hängt in der Praxis vor allem von der Komplexität der Kreditprodukte ab. Allerdings stellen selbst bei nicht besonders komplexen Produkten veraltete oder stark fragmentierte IT-Systeme oft ein Hindernis für Automatisierung und Effizienz dar.
Neue Vorgaben von der EBA werden im nächsten Jahr hinzukommen und erfordern eine Überprüfung der bestehenden Praxis der Kreditvergabe insbesondere mit Bezug auf:
- die Datenerhebung insbesondere mit Berücksichtigung explizit genannter Informationen
- Kreditentscheidungsprozesse, Kreditwürdigkeitsprüfungen unter Einbeziehung der explizit genannten Kriterien, Sensitivitätsanalysen und Stresstests im Rahmen der Kreditvergabe
- Sicherheitenbewertungen
- das Rahmenwerk für die Preisfindung
- Dokumentation der Informationsverarbeitung während der Kreditantragsbearbeitung und die Verfügbarkeit dieser Dokumentation
Wo die neuen regulatorischen Vorgaben insbesondere wegen der zahlreichen detaillierten Anforderungen über die bisherige Praxis hinausgehen, bedeutet dies zunächst eine Erweiterung und höhere Komplexität der Kreditvergabeprozesse. Investitionen in die IT-Implementierung werden dann erforderlich sein, um eine zufriedenstellende Effizienz dieser Prozesse trotzdem beizubehalten.
Über den Autor:
Dr. Helge Thiele ist als Unternehmensberater mit Schwerpunkt auf dem Risikomanagement in Banken tätig. Seit mehr als 10 Jahren beschäftigt er sich mit Entwicklung und Validierung der Risikomethodik insbesondere im Kreditgeschäft, regulatorischen Anforderungen und der technischen Umsetzung von Risikomodellen.
Wie ADVISORI Ihnen hilft:
ADVISORI ist eine unabhängige Beratung und unterstützt Kunden bei dem Thema Kreditvergabeprozesse. Durch Zusammenarbeit der Bereiche Risk Management, BI und Data Integration wird ein breites Spektrum abgedeckt – von Datenerhebung und Datenhaltung, Kreditrisikomanagement, Risikomethodik und Prozessautomatisierung bis hin zur Vorbereitung und Unterstützung aufsichtlicher Prüfungen.