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AnaCredit – ein „altes Eisen“ und dennoch aktueller denn je: Eine Retrospektive und ein Ausblick


Etwa dreieinhalb Jahre sind nun vergangen seitdem die EZB am 18. Mai 2016 die Verordnung zur Implementierung eines granularen statistischen Kreditmeldewesens (Analytical Credit Datasets; kurz: AnaCredit) verordnet hat.
Zum Stichtag 30. September 2018 waren die europäischen Institute damit erstmalig aufgefordert, produktiv granulare Vertragspartner-Daten sowie Kredit-Daten an die zuständigen jeweiligen nationalen Zentralbanken weiterzuleiten.
Das nun gut einjährige „Jubiläum“ von AnaCredit soll Anlass für einen kritischen Rückblick sein, einen Ausblick in die Zukunft wagen und auch Chancen des granularen Kreditregisters aufzeigen.


 


Management Summary



  • Die Ursachen für die Verzögerungen in der Umsetzung von AnaCredit Projekten sind sowohl auf Seiten der Regulatoren als auch der Institute zu finden.



  1. Regulator: Änderungen und Konkretisierungen der Vorgaben
  2. Regulator und Institute: Allumfassendes Unterschätzen von allen Parteien
  3. Institute: Fehlende oder inadäquate Vorbereitung der operativen Mitarbeiter



  • Weitere Ausbaustufen von AnaCredit sind geplant. AnaCredit kann als Tor zu einem digitalen Meldewesen gesehen werden.



  • Banken sind angehalten weitere Maßnahmen zu ergreifen, um in Zukunft besser auf Anforderungen dieser Art reagieren zu können. Dies können sein:
    Steigerung der Datenqualität und Datenharmonisierung, belastbare Data Governance, Optimierung von Datenlieferstrecken, agile Transformation.


 


Die Umsetzung – vielfach unterschätzt


Entgegen der Planungen der Kreditinstitute AnaCredit bis zum ersten Meldetermin am 30. September 2018 im Projektbetrieb umzusetzen und spätestens zum Jahresende 2018 in die Linienbetrieb zu übergeben, wurden zahlreiche Projekte verlängert oder Folgeprojekte initiiert. Dabei hinkten viele Institute ihrer Planung teilweise sogar weit hinterher.


Doch was waren die Ursache der Verzögerungen?
Was ist der Grund dafür, dass sich die Institute teilweise immer noch im Projektbetrieb mit AnaCredit beschäftigen?


Die folgenden drei Thesen – deren Prüfung in diesem Artikel zentral diskutiert werden – geben Antwort:



  1. Die konkrete Ausgestaltung von AnaCredit seitens der Bundesbank sowie noch während der Testphase (März bis August 2018) und nach dem Produktivtermin 30.09.2018 publizierte Veränderungen stellten enorme Herausforderungen dar.
  2. Die hohe Granularität der Meldung sowie deren Umfang und der damit verbundene Aufwand wurde im Detail von den Instituten und dem Regulator unterschätzt.
  3. Die Linienorganisation des Kredit- bzw. statistischen Meldewesens in den Banken waren personell nicht optimal auf die erstmalig sehr technische AnaCredit Meldung vorbereitet


 


1. Ausgestaltung der Bundesbank und Veränderungen


Die Verordnung (EU) 2016/867 der Europäischen Zentralbank stellt den gesetzlichen Rahmen der AnaCredit Meldung, indem Sie Umfang der zu meldenden Attribute, die Meldefrequenz sowie den groben Rahmen der Meldung selbst festlegt. Allerdings erlaubt sie den nationalen Zentralbanken auch Spielräume in der Ausgestaltung. Wie die Daten von den Instituten eingesammelt werden, bleibt beispielsweise der jeweiligen nationalen Zentralbank überlassen und wurde daher häufig aufbauend an bereits bestehende jeweiligen nationalen Kreditregister umgesetzt.

Die Deutsche Bundesbank hat entschieden, die Daten in einem Delta-Verfahren bezüglich der Daten-Tabellen mit Vertragspartner- und Kredit-Stammdaten einzufordern.
Darüber hinaus wurde in mehreren Rundschreiben (RS Nr. 76/2018, RS Nr. 10/2019, RS Nr. 20/2019, RS Nr. 27/2019, RS Nr. 39/2019) bereits nach längerer produktiver Meldung von AnaCredit der genaue Ablauf von Korrektur- und Löschmeldungen spezifiziert. Es wird Wert auf eine so genannte Zeitstrahlkorrektur gelegt, das heißt nach Einreichung der Daten zu einem bestimmten Ultimo, mussten die Institute in der Lage sein, sämtliche Stichtage bis einschließlich 6 Monate rückwirkend zu korrigieren. Dies führte letztlich zu unübersichtlichsten Konstellationen, wie Korrekturen auf bereits abgelaufenen und damit als gelöscht gemeldete Instrumente, die rückwirkend erfasst und anschließend wieder als gelöscht gemeldet werden müssen (vgl. Beispiel aus RS 27/2019).

Zahlreiche Komplikationen im Meldeprozess waren die logische Konsequenz, da die Institute mit eigenen Software-Lösungen beziehungsweise die Meldewesen-Software Hersteller die bisherigen Logiken anpassen, und Banken diese Änderungen kurzfristig testen sowie live nehmen mussten. In den automatischen Validierungsprozessen seitens der Bundesbank kam es zu enormen Mengen von Rückmeldungen aufgrund anschlagender Validierungsfehler in deren Folge eingeforderten Korrekturen der Bundesbank im Rahmen des Zeitstrahls erneut gemeldet wurden mussten.

Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass bereits nach kurzer Zeit die Datenstände bei der Bundesbank und den berichtspflichtigen Instituten auseinandergelaufen sind. Es schien nahezu unmöglich den Überblick im AnaCredit Datenhaushalt zu wahren. Der Mehraufwand im Rahmen der Korrekturen zusätzlich zu dem ohnehin noch nicht hundertprozentig automatisierten Meldeprozess vereinnahmte zusätzliche Ressourcen, die wiederum fehlten, um den geplanten Projektfortschritt voranzutreiben.


2. Daten-Granularität und -Umfang


Zur Umsetzung von AnaCredit begannen die meisten großen deutschen Institute bereits frühzeitig mit Vorstudien in der Absicht präzise Abschätzungen über den Umfang und die Reichweite der Verordnung in der Gesamtbank zu erhalten. Dabei hätte ebenso frühzeitig die Tragweite der AnaCredit Verordnung auffallen können: In der einen Dimension sind Daten aus verschiedenen Bereichen der Banken zusammenzutragen, was bereits ein Blick auf die Datamarts – wie die verschiedenen Datentabellen in AnaCredit bezeichnet werden – offenbaren:

Um nur einige Beispiele zu nennen: Zur Meldung des Datamart Counterparty Reference Data werden  Daten aus den Kundensystemen benötigt, der Datamart Accounting verlangt die Meldung von Informationen aus dem Rechnungswesen, Counterparty Risk und Counterparty Default müssen mit Informationen aus den Risikoabteilungen gespeist werden und der Datamart Protection Received Data wiederum erfordert die Anbindung an die Sicherheiten-Daten der Bank.

Erschwerend kommt hinzu, dass einzelne Datenpunkte, wie beispielweise die Unternehmensgröße, die Beschäftigtenzahl, Bilanzsumme sowie Jahresumsatz für eine Vielzahl von Geschäftspartnern der Banken insbesondere unter den Klein- und Mittelstandskunden bisher nicht notwendiger Weise vorzuhalten waren. Versuche, diese Informationen von Drittanbietern einzuholen, waren zumeist ebenso unbefriedigend wie die Befragung aller Kontrahenten nach jenen Informationen.

In einer weiteren Dimension erstrecken sich die einzusammelnden Daten nicht lediglich auf die heimischen Filialen. Ebenso sind Geschäfts- und Kontrahenten-Daten der Kunden, welche Geschäfte mit den ausländischen Niederlassungen tätigen, gemäß dem Single Branch Prinzip in Deutschland an die Bundesbank einzureichen. Institute mit teilweise mehreren ausländischen Niederlassungen taten sich mit dieser neuen Anforderung extrem schwer, sind doch die Datenhaushalte zumeist getrennt oder höchstens teilweise zusammengeführt. Spätestens hier wurde klar, dass unliebsame Abweichungen zwischen den Datenpunkten vor Ort sowie in den Zentralen eher die Regel als die Ausnahmen sind. Die vielfach zitierte Single Source of Truth war hier noch in weiter Ferne – eine Tatsache, die spätestens dann auffallen wird, wenn die EZB in der Lage ist, die an die zuständigen nationalen Zentralbanken eingereichten Daten in den einzelnen Ländern zu vergleichen.


3. AnaCredit Umsetzung: Bedarf an technischem Knowhow


Es steht wohl außer Frage, dass sich die AnaCredit Meldung in einem wesentlichen Charakterzug von den bisherigen Meldungen im Kredit- sowie statistischen Meldewesen unterscheidet: Die Meldung großer Mengen von Daten auf granularer Einzelgeschäfts-Ebene macht eine tabellarische Struktur und Anzeige der Daten sowie eine elektronische Form der Meldung unumgänglich. Damit löst sich AnaCredit vom formularbasierten Meldewesen und orientiert sich an einem neuen digitalen Meldewesen.

Einhergehend ist neben dem Fachwissen auch Expertise im Umgang mit Datenmodellen, der XBRL-File (eXtensible Business Reporting Language) Erstellung, Datenbanksprachen u.v.m. gefragt. Insbesondere für Fachkräfte mit jahrelanger Erfahrung im formularbasierten, statistischen oder Kredit-Meldewesen (wo AnaCredit in den Banken verortet wurde) bedeutete dies Neuland. Jedoch wurden die Mitarbeiter im Vorfeld zumeist nicht ausreichend adäquat weitergebildet, um optimal auf diesen Wandel der Anforderungen vorbereitet zu sein. Dem konnte zeitweise durch den Einsatz entsprechender externer Fachkräfte Sorge getragen werden. Die Etablierung eines nachhaltigen Meldeprozesses mit dem Potential für weitere Optimierungen und Ausbaustufen – wie exemplarische im nachfolgenden Kapitel aufgeführt – wurde so massiv behindert.


Ungenutzte Chancen – Ein Ausblick und Aufruf


Da der aktuelle Stand der AnaCredit-Meldung – sofern man den Ankündigungen der europäischen und nationalen Zentralbanken folgt – noch nicht der letzte ist, verbleibt die Möglichkeit aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.


Zur Diskussion stehende Erweiterungen von AnaCredit sind beispielsweise



  • die Herabsenkung der Meldeschwelle von aktuell 25.000€ pro Kreditnehmer oder
  • die Erweiterung des Meldeumfangs auf natürliche Personen,


sodass letztendlich ein vollständiges zentrales Kreditregister geschaffen wird.


Darüber hinaus deuten europäische Bestrebungen wie BIRD (Banks‘ Integrated Reporting Dictionary) darauf hin, dass es zukünftig zu weiteren Bestrebungen zur Datenharmonisierung im granularen regulatorischen Reporting auf Basis einzelner Datenpunkte kommen wird.

Wie die oben dargelegten Erläuterungen zur ersten These zeigen, stehen die Finanzinstitute unter permanentem Druck durch den Regulator. Ständig müssen sie in der Lage sein, auf Veränderungen zu reagieren oder neue Anforderungen umzusetzen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Zeiträume, die die EZB und Bundesbank den heimischen Kredithäusern dafür gewährt, häufig eng bemessen sind.
Umso mehr sind die Banken dazu aufgefordert, AnaCredit nicht als abgeschlossenes Kapitel zu betrachten, sondern kontinuierlich weiter an



  • der Steigerung der Datenqualität,
  • der Schaffung von belastbaren Data Governance Strukturen,
  • Optimierung der Prozesse und Datenlieferstrecken,
  • der Datenharmonisierung (bankübergreifendes, einheitliches Datenmodell innerhalb der Bank sowie mit den ausländischen Niederlassungen)
  • agiler Transformation (Verzahnung der Bereiche und Fachexperten) und
  • der Vorbereitung für weitere Ausbaustufen von AnaCredit


zu arbeiten.


Bei allen oben aufgeführten Punkten ist bisher jedoch ein wesentlicher Aspekt vollkommen außer Acht gelassen worden. Statt AnaCredit als neues kostspieliges Ärgernis in der Flut der scheinbar endlos neu aufkommenden regulatorischen Anforderungen der letzten Jahre zu sehen, sollten sich die Banken von der reagieren Opferrolle in die proagierende Rolle von Innovatoren begeben:


Welche Chancen bietet AnaCredit (gegebenenfalls in Verbindung mit neuen Technologien) für die Banken?


Wie können die Geldhäuser selbst von den aufgebauten granularen Kreditdaten profitieren?


Lassen sich womöglich neue Geschäftsmodelle etablieren oder innovative Kundenerlebnisse schaffen?


Eines scheint klar: Nie zuvor hatten Banken so einen klaren Blick auf ihr gesamtes Kreditportfolio wie bisher.
Es ist an der Zeit umzudenken: Neue regulatorische Anforderungen werden auch weiter auf die Institute zukommen und müssen umgesetzt werden. Allerdings kann darin auch eine Chance liegen, sofern die Institute bereit sind, durch die Datenbrille zu schauen und endlich beginnen, die Menge an verfügbaren Informationen sinnvoll für den Ausbau neuer Geschäftsmodelle und zugeschnittener Produkte für ihre Kunden zu nutzen.


 


Über den Autor


Sebastian Rüttgers war als Unternehmensberater in der Banking-Industry mit dem Fokus auf Risk & Regulatory in den vergangenen drei Jahren in diversen Projekten bei zahlreichen Kreditinstituten und einem Meldewesen-Software Hersteller in Deutschland und Luxembourg eingesetzt. Er begleitete im Thema AnaCredit sämtliche Projektphasen angefangen mit ersten Vorstudien über die Konzeption der Umsetzung bis zum Go-Live der Meldung und darüber hinaus in verschiedenen Rollen. Dadurch erhielt er einen bankenübergreifenden Eindruck der Herausforderungen, erhielt Einblick in länderspezifische Eigenheiten der Umsetzung und konnte ebenfalls die Sichtweise der nationalen Regulatoren einnehmen.


 


Wie Advisori Ihnen hilft


Wir arbeiten aktuell an Software-Prototypen zur Anbindung, Auswertung und Visualisierung der AnaCredit Daten. Erste Proof of Concepts konnten zeigen, dass es damit hervorragend gelingen kann, interne (Mangement-)Reportings zum Kreditportfolio zu ersetzen. Ebenso gibt es erste Ansätze den Prototypen zur Kundenanalyse zu nutzen, um darauf aufbauend maßgeschneiderte Produkte für Kunden im Corporate Banking entwickeln und anbieten zu können.
Die Advisori FTC GmbH ist eine unabhängige Management-Beratung mit Fokus auf Finanzen und IT. Seit der Gründung im Jahre 2014 hat Advisori den Kunden aus diversen Branchen, darunter zahlreiche DAX-Konzerne, in bereits über 400 Projekten zum Erfolg verholfen. Das Leistungsportfolio umfasst in grober Gliederung die Bereiche Big Data, Information Security, Regulatory Reporting sowie Risk Mangement.


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